Nachtmarsch der 1. Oberstufe
Bericht Nachtmarsch der ersten Klassen 27.6.2017
Nein, es hat uns nicht verregnet. Nein, wir mussten auch nicht eine halbe Stunde lang irgendwo in einem finsteren Winkel auf dem Boden kauern, die Füsse eng zusammen halten, weil über uns gerade ein furchtbares Gewitter tobte Nein, niemand hat auch nur einmal daran gedacht, irgendeinen Regenschutz auszupacken.
Um ehrlich zu sein: Viele hatten trotz Hinweis auch gar keinen dabei.
Doch nun der Reihe nach. Das Wetter – oder besser die Wetterprognosen - hatte es den Lehrkräften nicht gerade leicht gemacht. Alle paar Stunden war jemand am Internet gehangen, um nachzuprüfen, was denn meteo.ch/admin gerade so meinte. Es meinte so manches, doch in einem Punkt waren die Prognosen stabil: Bis um 01 Uhr sollte uns der Regen verschonen. Und so wurde das Unternehmen nicht abgeblasen. Um in der Not aber was in den Händen zu halten, organisierte der Hauptverantwortliche wenigstens ein Rückfahr-Gruppen-Billet ab Birmensdorf.
Mit dieser Rückversicherung in der Tasche konnte auch der leichte Sprühregen, der um 18.30 Uhr auf Dietikon niederging, nicht wirklich beunruhigen. Auch deshalb nicht, weil weiter im Westen bereits wieder viel Sonnenschein auszumachen war. Und aus Westen kommt bei uns das Wetter, in der Regel wenigstens.
Die Kleidung und Ausrüstung vieler Schüler widerspiegelte das grosse Vertrauen in die Aussage der Lehrer: Bis 01 Uhr werde es aller Wahrscheinlichkeit es nicht regnen. Hast du einen Regenschutz dabei? Ich, einen Regenschutz? Warum? Es regnet ja nicht. Ich, ich habe einen Knirps im Rucksack. Schulterzucken bei andern. Bei einigen erübrigte sich die Frage, da sie nicht einmal einen Rucksack dabei hatten. Taher hatte wenigstens eine Flasche in der Hand. So kann man tatsächlich Gewicht sparen. Andere, vor allem die Damen, trugen Hosen – so eine Mischung aus Pyjama und Trainerhose -, die bei Regen die Nässe gerade magisch angezogen hätten. In der Tat, es war viel Gottesvertrauen zu spüren. Ja, die ordentlich ausgestatteten Lehrkräfte kamen sich irgendwie „overdressed“ vor.
Nun denn, es konnte losgehen. Alle 81 Schülerinnen und Schüler, sowie sechs Lehrkräfte standen pünktlich da, bereit das Abenteuer kommen zu lassen.
Ihr werdet gegen das schlechte Wetter marschieren müssen. So hatten es die Lehrer gesagt. Wer ist schneller in Dietikon, ihr oder der Regen? Diesen Wettkampf mit dem Wetter nahmen die Nachtmarsch-Neulinge mit viel Optimismus auf und legten gleich zu Beginn ein ordentliches Tempo vor. Riccarda, Anna, Leandra, Leonie, Lea und andere Damen trieben den Lehrer an der Spitze regelrecht vor sich her. Das konnte ja noch heiter werden. Bei einigermassen sonnigem Wetter waren im Hintergrund Rigi und Pilatus gut zu erkennen, im Westen der Jura. Schnell waren Bonstetten und Wettswil passiert. Die Energien mancher Schüler, ja gerade auch Schülerinnen, schienen noch unerschöpflich zu sein. Grâce wurde bei einem Spurt beobachtet, als gelte es, die ohnehin schon gute Zeit beim Sporttag noch zu unterbieten. Vermutlich hatte Patric was Dummes gesagt. Nun wollte er sich der Strafe durch rasche Flucht entziehen. Angesichts der Sprintstärke von Grâce ein völlig sinnloses Unterfangen. Dann wurde der Marsch in den Abend wirklich zum Nachtmarsch. Der steile Abstieg ins Reppischtal sorgte für viel Gekreische und wohl Verwirrung bei den Tieren des Waldes. Einige merkten jetzt auch, dass eine kleine 3-Deziliter-Flasche mit Wasser irgendwann mal ausgetrunken ist. Wo ist der nächste Brunnen? Hat der Kiosk in Birmensdorf um 23 Uhr noch offen? Kann man das Wasser aus der Reppisch trinken? Gibt es hier stark wasserhaltige Wurzeln, die ich rasch ausgraben könnte? Solche Fragen gewannen jetzt zunehmend an Bedeutung.
Ziemlich genau um 23 Uhr waren die ersten Häuser von Birmensdorf erreicht. Wie sieht das Wetter aus? Durch grosse Wolkenlücken funkelten Sterne, doch im Westen, da blitzte es immer wieder mal. Abbrechen und den Zug besteigen? Irgendeine innere Stimme befahl den Lehrkräften weiterzumachen. Ausserdem zeigte das Wetterradar, dass die Fronten einen Bogen um die Weininger Wandertruppe machen würden. Also frisch drauflos. Für die Schüler war die Sachlage ohnehin klar: Die Lehrer hatten gesagt, dass es nicht regnen werde, und für sie war das Gottes Wort. Da konnte es im Westen noch so blitzen. Es tut echt gut, wenn man als Lehrer so viel Vertrauen spüren darf.
Nun waren zwei Drittel der Strecke hinter sich gebracht. Bei dem einen oder anderen stellten sich nun doch so allmählich Verschleisserscheinungen ein. Dem tat der linke Fuss weh, einem andern das ganze rechte Bein. Andere spürten gar nichts mehr, was eigentlich optimal ist. Die Gangart bei so manchem verlor merklich an Eleganz, andere wiederum schienen fast noch einen Zacken zulegen zu wollen. Eigentlich müsste man jetzt im warmen Bett liegen. Doch vor der müde gewordenen Schar lag nun das dunkle Reppischtal. Dahinter blitzte es mittlerweile ganz munter am Horizont.
Hier nun begannen einige Schüler etwas philosophisch zu werden. Salomé, wie üblich stets ganz vorne dabei, träumte von einem Stein, über den sie stolpern und deshalb gleich zu Boden gehen würde, dann in Ohnmacht fiele und am nächsten Morgen in irgendeinem weichen Bett aufwachen würde. Pech bloss, dass sich dieser Stein nicht finden liess.
Ein paar Soldaten, die irgendeinem Auftrag nachgingen, staunten nicht schlecht, als da plötzlich eine Kompagnie Jugendlicher an ihnen vorbei marschierte. Dann kam der eigentlich einzige, etwas längere Aufstieg der ganzen Wanderung. Dario L, dessen Ausstattung mit Stirnlampe ihn fast schon höhlentauglich machte, konnte sich nun als Chef-Leuchter in Szene setzen. Da man hier nur einzeln gehen konnte, bildete sich hinter Dario eine längere Girlandenkette, die aus der Distanz wunderschön anzusehen war. Die Handys hatten offenbar noch Saft, nicht aber die Trinkflaschen. Wenigstens hatte der eine Lehrer von seinen mehr als zweieinhalb Litern noch einiges übrig, das er den Schüler voller Mitleid abgeben konnte. In diesem Moment hätte man da durchaus ein profitables Geschäft machen können. Ja, nicht einmal der Himmel erbarmte sich und liess den Schülern etwas Nass zukommen. Jungvögeln gleich hätten die Durstleidenden jetzt gerne ihren Schlund dem Himmel entgegen gestreckt. Noch ein paar Meter und plötzlich tauchte die Autobahn auf. Nach der schon fast unheimlichen Stille im Reppischtal endlich wieder mal ordentlicher Verkehrslärm. Die Lichter von Urdorf waren nun recht nahe. Da konnte Dietikon auch nicht mehr weit sein. So war es zwar, aber ganz so nahe war es eben auch wieder nicht. Nun noch einmal die letzte Energie raus. Aleks, dem das Leiden nun wirklich gut anzusehen war, brauchte Hilfe und fand sie an den starken Schultern von Severin. Ein wirklich rührendes Bild. Zwei quälend lange Kilometer führten der Autobahn entlang. Die mühelos vorbeidüsenden Autos waren dabei keine grosse Motivationshilfe. Da musste man eben durch. Jetzt kam der Moment, wo alle ihren Eltern anrufen durften, um ihnen auszurichten, dass man in einer halben Stunde abgeholt werden wolle. Doch wie es noch herausstellen sollte, wollten gar nicht alle abgeholt werden.
Dann tauchten nun doch die ersten Häuser von Dietikon auf. Der Weg führte jetzt einem Bach entlang, was nochmals ein Höchstmass an Konzentration erforderte. Was bringt es, wenn die Kehle trocken ist, dafür der ganze Rest patschnass? In erstaunlich grosser Geschlossenheit zog nun die Weininger Truppe durch das nächtliche Dietikon. Endlich war der Bahnhof erreicht, der erste Nachtmarsch war damit zu Ende. Einige wenige meinten, dass dies wohl ihr letzter Nachtmarsch gewesen sei, doch das ist natürlich Käse. Wie schon in den vergangenen Jahren
funktionierte der Abholdienst recht gut. Nur ein paar Schülerinnen, drei von ihnen hatten in der vergangenen Woche ihre Schauspielerkünste überzeugend bewiesen, taten so, als hätten auch sie angerufen. Sie schienen aber vor dem idyllischen Bahnhof von Dietikon dem Nachtmarsch noch eine Art Ausklangstunde – ohne störende Lehrer natürlich – anhängen zu wollen. Nach fast einer halben Stunde Herum-Eiern war damit aber definitiv Schluss. So leicht lassen sich Lehrkräfte nicht abwimmeln.
Ach ja, noch etwas: Etwa eine Viertelstunde, nachdem alle den Bahnhof erreicht hatten, begann es ganz ordentlich zu schütten. Die Lehrer und meteo,ch hatten Recht gehabt, die Schüler in ihrem Vertrauen auch. Bis 01 Uhr – es wurden dann noch 30 Minuten mehr - würde der Regen die Weininger verschonen.
Für den Jahrgang: Peter Nef
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